Wolfgang
Beutin:
Erzählungen
156 S., ISBN 978-3-932696-82-4,
14,80 Euro
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Beutin
legt hiermit eine Sammlung von Erzählungen im seit einem Jahr in
Neumünster ansässigen „von Bockel Verlag“ vor.
Die Geschichten sind überwiegend in Norddeutschland angesiedelt, -
mit Ausflügen nach Bayern und Dänemark. Der
„Philosophenturm“ auf dem Campus der Universität
Hamburg, wo Beutin lange Zeit lehrte, ist auch Schauplatz, - unter
anderem mit zwanghaft Fotokopien sammelden Akademikern, mit Leuten, die
über Sprache forschen aber Kommunikationsprobleme haben.
Oft stehen „schrullige“ Menschen bei Beutin im Mittelpunkt.
So zeichnet der Autor etwa den Lebensweg der
„Zigarettenraucherin“ Ilse Ehrentraut nach, - vom
Dienstmädchen in Hamburgs besseren Kreisen in den 20er Jahren, die
in der zweiten Lebenshälfte in einem Mietshaus im Stadtteil
Barmbek lebt, ehe sie ins Pflegeheim Oberaltenallee gebracht wird.
Obwohl Ilse Ehrentrauts Leben unspektakulär verlief, arbeitet der
Autor ihre skurrilen Eigenheiten heraus und schildert, wie sie sich in
„der guten Stube“ einen Tabaksalon einrichtet und sich im
hohen Alter gar ihres eigenen langjährigen Ehemanns entledigt, um
„neue Freiheit“ zu gewinnen. Gelegentlich scheint es, dass
Beutins Figuren geradezu zwanghaft abstrus handeln.
In der Erzählung „Die amerikanische Heirat“ tischt die
Hauptfigur, eine attraktive Frau „mittleren Alters“, ihrem
Dialogpartner geheimnisvoll Berichte über ihren Gatten auf. Sie
macht ihm im Foyer eines holsteiner Tagungshotels glaubhaft, er werde
ihren Gatten ganz „bestimmt mehr als einmal gesehen haben“.
Am Ende lüftet sie das Rätsel mit geradezu liebreizender
Diskretion: Sie gibt sich als Gattin Robert Redfords aus, - nur das sie
darauf verzichtet habe, „den Namen des Gatten anzunehmen“.
Inhalt:
Die Zigarettenraucherin / Die Sammler: Das gespeicherte Leben ·
Der Kommunikator · Die Bücherburg / Die amerikanische Heirat / Liebe via
Vordingborg / Das Holzhaus an der Jammerbucht / Meyer willer heißn / Kurzprosa:
Die Erzählung des Wachtmeisters - Rumpelstilzchen · Die Erzählung des Professors
- Die Spaltung · Die Erzählung des Redaktionsassistenten - Das Attentat · Die
Erzählung der Schülerin - Bruch · Die Erzählung der Bibliothekarin - Der neue
Kollege · Die Erzählung des Jägers - Der Doppelmord · Die Erzählung des
Automatenvertreters - Die Wette · Die Erzählung der Träumerin - Die Mühle · Die
Erzählung des Vikars - Fundsachen · Die Erzählung des Patienten - Die
Gedenktafel.
Aus einer Besprechung von Ulrike
Schwalm:
Er beginnt sie stets im vermeintlichen Plauderton – um dann mit dem Leser den
Einbruch des Absurden oder Skurrilen in die nur äußerlich wohlgeordnete
Alltagswelt zu genießen. Wolfgang Beutins „Erzählungen“, die jetzt im
von-Bockel-Verlag als Paperback erschienen sind, üben eine Sog- und Suchtwirkung
auf den Leser aus, gerade weil er in manchmal kafkaesker Manier Abgründe im
Aktendasein des akademischen Alltags aufbrechen lässt. Da sitzt sein Alter ego,
ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Hamburg, im zehnten Stock des
„Philosophenturmes“ (er ziert das Buchcover), als ihn plötzlich merkwürdige
„Störungen“ vom Flur her von seinen Papierstapeln wegziehen. Schuld ist der
„Kommunikator“ (Titel der Erzählung), ein Kollege, der das ganze Institut
entlarvt: „....unsere alltägliche Kommunikation bestünde im Fehlen der
Kommunikation, der Kommunikationslosigkeit...“ (Beutin). In einer weiteren
Erzählung („Die Bücherburg“) wird eine literarische Sammlung einem Professor zum
Bollwerk gegen den Tod. Er baut ein zunehmend fragileres Labyrinth aus fast
unzugänglichen „Bücherkojen“ in seiner Wohnung auf. Nicht ankommen können,
den Zutritt verwehrt finden – auch das ist ein häufiges Motiv bei Beutin, gerade
in diesem neuen Band. So finden in „Der neue Kollege“ (Titel einer
Kurzerzählung) die Dozenten ihr Hörsäle morgens immer schon besetzt, von
einem neuen „Lehrkörpermitglied“, das keine Zuhörer hat, aber ungehalten über
jegliche Störung ist....“Der neue Kollege“ gehört zu einer Reihe von
Kurzerzählungen, die den Band beschließen. Oder krönen. Denn diese Kurzprosa, in
der Beutin Menschen in ihrem Duktus erzählen lässt (zum Beispiel eine
Bibliothekarin, einen Vikar oder eine Redaktionsassistenten), zählt zu den
Höhepunkten des Buches. Beutin, der kürzlich seinen 75. Geburtstag gefeiert hat,
spannt mit „Erzählungen“ auch einen Bogen über die Themen seiner Generation,
ohne jedoch gestrig zu wirken. Das früheste Stück in diesem Buch ist „Meyer
willer heißn“, eine Erzählung, die Beutin 1956 als Student veröffentlicht hat.
Sie ist ein mundartliches Drama einer zufällig zusammengewürfelten
Menschenschar in einem Bunker während des Zweiten Weltkrieges und so
eindringlich wie Borcherts „Draußen vor der Tür.“ Der Autor erwähnt in seinen
Erzählungen Begriffe und Lebenswirklichkeiten, die Jüngere nicht mehr kennen. Da
gibt es „Zivilingenieure“, einen „Spätheimkehrer“ oder einen Streit um
marxistische Literaturauslegung, die den Erzähler fast seinen Job kostet. Alles
ist so spannend, dass man dieses Buch in einem Zug durchlesen muss. Schade, dass
es so dünn ist. Wann folgt der nächste Beutin-Band?
Stormarner Tageblatt vom 24.11.2009
4.2.2010, Wolfgang Beutin stellt den Erzählungs-Band in der Heinrich-Heine-Buchhandlung in Hamburg vor: